Montag, 27. August 2012

Geht's noch?!

Geht’s noch?!


Die Hitze kam vor zwei Tagen und machte keine Anstalten, je wieder zu gehen. Wie immer mit einer schweißtränkenden Schwüle. Gehirne lagen in ihrem eigenen Brei und alle Bewegungen und Gedanken kamen einem unendlich mühsam vor. Die Menschen schwitzten unter ihren Baseball-Caps, Anzughosen und Tommy Hilfiger Shorts, so dass ihnen die Brühe nur noch so die Arschritze hinablief. Sie schleppten sich stöhnend und beschämt durch die Straßen wie in einem Regentanz auf LSD von links nach rechts und wieder nach links bis sie abends krebsrot in ihre Betten fielen oder auf den nackten Leibern ihrer Frauen und Männer einschliefen, wie in einer trägen leidenschaftslos stinkenden Suppe, die einem jeglichen Appetit aufs Hauptgericht verdarb.

Ich saß in einer abgedunkelten Wohnung in Speyer-West und versuchte mich zu konzentrieren, um den Korken meiner Flasche Wein vor mir ohne einen Schrei zu ziehen. Im Suff letzte Nacht hatte ich wohl irgendeine dumme Bewegung gemacht und als ich heute aufstehen wollte, schoss mir ein höllischer Schmerz in den Rücken, so dass ich vor lauter Schreck fast an den Schrank geknallt wäre. Stehen und Laufen war seitdem Tabu, Sitzen ging noch einigermaßen, so dass ich mich nun den ganzen Morgen schon nur mit meinem Kopfkissen unter den Arsch geklemmt fortbewegen konnte. Auch ich schwitzte wie ein Schwein und musste an den schwarzen, beinlosen Penner in der Metro aus Kids denken, wodurch ich wenigstens ein bisschen über mich selbst lachen konnte. Mein erster Anruf hatte meinem Chef gegolten.

„Herr Seitner, ich werde heute nicht zur Arbeit kommen.“

„Wollen Sie mich verarschen?“, war die prompte Antwort.

„Tut mir leid, ich kann wirklich nicht. Als ich aus dem Bett wollte schoss es mir schon in den Lendenbereich. Ich kann mich nicht mal aufrichten.“

„Herr Frey, das müssten Sie doch kennen. Das geht dann einige Sekunden, dann schütteln Sie ab und dann geht’s wieder.“

„Ich meine die Lendenwirbelsäule.“. Dann war kurz Stille.

„Tja, Herr Frey, Sie kommen langsam in das Alter, in dem man sich vor dem GV besser eine halbe Stunde aufwärmt.“ Ich sagte nichts und schwor mir, das nächste Mal eine SMS zu schicken.

„Gehen Sie zum Arzt und sagen Sie mir Bescheid. Ich will Sie morgen hier wieder sehen.“

„Ich kann nicht gehen.“

„Ich kann nicht, ich will nicht,…Herr Frey, so wird nie etwas aus Ihnen.“

„Ich melde mich.“, sagte ich und legte auf.

Marleen, meine Freundin, arbeitete als Krankenschwester und war schon seit 5 aus dem Haus, während ich noch sabbernd vor mich hinträumte. 12-Stunden-Schicht. Ihr Handy lag vor mir. Ich war also auf mich alleine gestellt.

Es hatte eine Weile gedauert einen Arzt zu finden, der bereit war vorbeizukommen und mir 5 Spritzen in den Rücken zu jagen. Er war Iraner und sah ziemlich gestresst aus. „Bandscheiben?“, fragte ich. „Blockade.“, antwortete er. Bevor er gegangen war, hatte er mich noch gefragt, ob ich normal pissen kann, was mir sehr merkwürdig vorkam, aber ich bejahte, ohne es probiert zu haben. Er hatte zufrieden genickt, meine Krankmeldung unterschrieben und war wieder in Windeseile verschwunden.

Na gut, dachte ich mir. Iran war kurz davor, von den Israelis ausgebombt zu werden. Außerdem hatte Obama klare Ansagen gemacht, was Syrien anging und das Ende der Welt war sowieso nur noch 3 Monate entfernt. Da blieb nicht viel Zeit für einen nach Alkohol stinkenden Kassenpatienten wie mich.

Es war zehn Uhr morgens und ich ziemlich gelangweilt. Gegessen hätte ich schon gerne etwas, allerdings hätte ich dazu ans entsprechende Fach im Kühlschrank kommen müssen. Der Griff zum Weinregal war weitaus einfacher zu bewerkstelligen, also war die Lösung naheliegend.

Ich krabbelte zu meinem Bücherstapel und kramte mir Die Abenteuer von Trashman heraus. Carl Weissner hatte in den letzten zwei Jahren mit Manhattan Muffdiver und dem Trashman die ersten beiden eigenen Bücher auf Deutsch hervorgezaubert, im stolzen Alter von 70. Und jeder Absatz war so frisch, als würde er aus der Feder eines jungen wilden Mannes stammen. Ich hatte beide verschlungen und lebte nach der letzten Seite für etwa zwei Wochen in einer euphorisierenden Hoffnung, was deutschsprachige Schreibe angeht. Und flux- war auch er tot. Ein Schelm, wer hier wieder an die CIA-sche Verschwörung denkt. Das Telefon klingelte. Ich schob mir wieder das Kissen unter dem Allerwertesten zurecht, bugsierte mich hin und nahm ab.

„Vincent, du bist zuhause?“, Christian, vor ein paar Jahren noch erfolgreicher Boxer und seit seinem Ausschluss aus der Liga aufgrund einer von ihm angezettelten Kneipenschlägerei mit drei Albanern, erfolgreicher Arbeitsloser und Alkoholiker. Ein guter Mann mit einem irren Blick und miesen selbstgestochenen Tattoos, der sich so durch die Gegend wuselte. Zurzeit arbeitete er ein bis zweimal die Woche schwarz bei einem Dachdecker. Er hatte etwas Suizidales an sich. Es gab ihm einen Kick, sturzbetrunken auf den Dächern herumzukrakseln, jeden Moment hinunterfallen zu können und das wars dann. Ich rechnete eigentlich tagtäglich mit seiner Todesanzeige.

„Du hast bei mir zuhause angerufen, wo soll ich denn sonst sein?“.

„Ja stimmt. Dumm von mir. Ich brauch deine Hilfe. Ich habe ein Mädchen kennengelernt. Gestern im Flame.“

„Klingt doch super.“

„Nein, doch…war es ja auch. Wir haben die ganze Nacht durchgevögelt. Die hat Sachen mit mir gemacht… hat mir fast den Schwanz an der Wurzel herausgezogen! Total irre die Kleine.“

„Was ist das Problem?“

„Naja, wie soll ich sagen. Ich bin bei ihr in der Wohnung, genau gesagt im Bett. Als ich aufgewacht bin, war sie weg. Ich glaub ihr Alter kommt bald heim. Ich glaub es ist einer der Malinowski Brüder. Der killt mich!“

„Ach du scheisse. Guck dass du wegkommst, man!“

„Ich komm nicht aus dem Bett. Kann mich kaum bewegen. Ich hab bestimmt ne viertel Stunde gebraucht, um ans Handy zu kommen.“

„Warum das denn?“

„Ich häng noch am Bett, an diesen beschissenen Plüschhandschellen. “

Ich stieß ein kurzes Lachen aus, das mir aber sofort im Hals steckenblieb. Mit den zwei Malinowski Brüdern war nicht zu spaßen. Weiß Gott nicht. Jeder von denen hat bereits ein paar Mal gesessen und das nicht wegen Handtaschendiebstahl. Die reinsten Klingonen. Einmal sind zwei von ihnen mit einer ganzen Ledercouch unterm Arm aus dem Kaufhof hinausgelaufen und alle Angestellte mitsamt Kaufhausdetektiv schauten nur zu Boden, um sich das Messer im Rücken zu ersparen.

„Sag mal, spinnst Du?! Du musst Dir die Handgelenke durchbeißen oder was, keine Ahnung...“.

„Witzig. Mach schon, hol mich hier raus!“

„Ich kann nicht mal laufen, hab ne Blockade in der Wirbelsäule.“

„Mach jetzt keinen Scheiss!!!“, fuhr er mich an. Dann wurde es in der Leitung still. „Ich bin tot, ich bin tot, ich bin tot.“, fing er an zu wimmern.

„OK, ok, ich überleg mir was. Keine Angst. Wo bist Du?“

„Paulstrasse an der Ecke, direkt überm Bäcker.“

„Ich ruf dich gleich nochmal an.“

„Aber…“. Ich legte auf und kippte erst mal das ganze Glas Wein auf Ex.

So ein kompletter Vollidiot, dachte ich mir, geschieht ihm gerade Recht. Allerdings war er mein Freund. Er hatte mich schon etliche Mal herausgeboxt, im wahrsten Sinne des Wortes, wenn es mal brenzlig wurde. Ich rief Mike an, einen verquerten CDU-Wähler und Schlosser in der BASF, alter Schulfreund, aber seit der Geburt seines Sohnes war nicht mehr viel mit ihm los. Es läutete ein paar Mal, dann nahm er ab.

„Mike?“

„Vincent, was gibt’s?“ Ich hörte das Balg im Hintergrund schreien.

„Christian kennst du? Den Boxer? Genau…hör zu. Er steckt in der Klemme.“ Nun rief seine Frau auch irgendetwas Unverständliches aus dem Off.

„Machs kurz, der Kleine hat sich gerade aufs Hemd gekotzt.“

„Alles klar. Pass auf. Christian ist ans Bett gefesselt und muss weg.“

„Häh?“

„Du musst ihn losmachen. Er ist in der Wohnung von einem der Malinowskis.“

„Die Malinowskis sagt Du? Vergiss es.“

„Komm schon, mir zuliebe.“

„Da fällt mir ein, du schuldest mir noch 50 Euro.“. Der Kleine sich kotzte weiter ein, es war sehr klar und deutlich zu hören. Ich legte auf. Sofort klingelte das Ding wieder in meiner Hand. Ich nahm ab.

„Vincent, warum gehst du nicht dran?!“, Christian. Er war wütend.

„Hey hey, ich bin dabei deinen Arsch zu retten.“

„Tschuldigung. Wie siehts aus?“

„Ich ruf dich gleich an.“, ich legte auf.

Ich wählte wieder Mikes Nummer. Diesmal ging er nicht dran. Ich stellte meine Nummer auf Unbekannt und versuchte es erneut.

„Ja?“

„Mike.“

„Vincent, ich hab keine Zeit jetzt. Außerdem kenne ich den Kerl doch gar nicht.“

„Du kriegst Deine 50 Euro. Ich geb dir sogar 100. Tu mir bitte nur einen Gefallen…“

Er sagte nichts, also redete ich weiter.

„Bei dir um die Ecke ist doch dieser Sex-Shop. Geh da bitte hin, kauf alle Handschellen und Fesseln und was du sonst so kriegst und fahr bei mir vorbei! Hol die, bei denen Schlüssel dabei sind. Du musst dann nichts weiter tun, den Rest mache ich. Ich werde dich auch dafür bezahlen.“

Ich hörte ihn entrüstet nach Luft schnappen, dann tutete es in der Leitung.

Ich fluchte und schenkte mir noch einmal ein. Mein Rücken schmerzte bei jeder Bewegung, es war der Horror. Zudem wurde mir langsam etwas schwindelig und die Brühe lief mir aus allen Poren. Gerade als ich darüber nachdachte, die Polizei unter irgendeinem Vorwand zu Christian in die Wohnung zu schicken, läutete das Telefon erneut. Mein Chef.

„Herr Frey. Haben Sie sich endlich ausgeschlafen? Sie wissen, keiner ihrer Kollegen, ich am allerwenigsten, geht davon aus, dass sie nur blaumachen wollen. Aber ich warte immer noch auf ihre Meldung.“

„Welche Meldung?“, fragte ich ihn.

„Ich geh hier das ganze Jahr mit gutem Beispiel voran, aber jeder macht sowieso, was er will!“. Hatte der nichts anderes zu tun, dachte ich mir.

„Ich habe eine Blockade, Herr Seitner. Ich bin eine Woche krankgeschrieben. Fürs Erste.“

„Eine Woche?“, er brüllte so laut ins Telefon, so dass ich reflexartig den Hörer vom Ohr weghielt.

„Ich schaue wie schnell ich wieder fit bin und dann gebe ich Ihnen Bescheid.“

„Als ich in Ihrem Alter war, hat eine Tracht Prügel Wunder bewirkt.“. Ich sagte nichts.

„Also, Herr Frey, ich rufe später noch einmal an. Gute Besserung.“. Und weg war er.

Ich wusste nicht mehr was ich machen sollte, also wählte ich Christians Nummer, um zu sehen, ob er noch lebt. Zu meiner Überraschung ging eine Frau dran.

„Wer bist denn du?“, fragte ich.

„Wer zum Teufel bist du?“. Sie hatte eine raue, zigarettengeschwängerte Stimme.

„Gib mir Christian.“. Es raschelte in der Leitung. Dann war Christian dran.

„Hey Vincent. Sie ist zurück.”

„Na großartig. Machs gut.“

„Nein warte! Wir finden den Schlüssel nicht, ich meine sie findet den Schlüssel nicht. Für die Handschellen meine ich. Ich spüre meine Arme fast nicht mehr. Mann! So eine Scheisse.“

„Dann soll sie schneller suchen die verdammte Hure.“

„Hey nenn sie nicht so. Ich glaube ich bin verliebt.“

Ich ließ einen Schrei los. Mein Chef wäre stolz auf mich gewesen.

„Alles klar bei dir?“, fragte er besorgt.

„Ja mir geht’s bestens.“. Ich kippte das zweite Glas auf Ex.

„Ich krieg wieder einen Krampf, ich mach dich auf Lautsprecher.“

Ich atmete tief durch und nahm einen Schluck während ich durch die Leitung allerhand Gekruschel und weibliche Flüche vernahm. Dann kam mir plötzlich eine Idee.

„Hey Christian. Habt ihrs anal gemacht?“. Es wurde still.

„Äh, ich weiß nicht...äh.“

„In den braunen Salon, ins Sternchen, in den Arsch! Habt ihr oder habt ihr nicht?“

„Naja, gewissermaßen.“

„Was soll das heißen, „gewissermaßen“?“. So verhalten kannte ich ihn gar nicht.

„Ich hab ihm meinen Dildo unten rein gerammt, Ja verdammt. Guck nicht so, Chris. War schließlich nicht meine Idee…“, ihre kratzige laute Stimme hallte einige Sekunden nach, dann war Totenstille. Ich kneifte mir in den Oberschenkel, um nicht lachen zu müssen.

„Mit Gleitgel?“, fragte ich schließlich.

„Ja klar, aber was zum Henker geht dich das überhaupt an?“, bellte sie mich an.

„Sehr gut. Schmier ihm das auf die Hände und versucht die da rauszuziehen!“

Es dauerte einen kurzen Moment doch dann spürte ich förmlich, wie sich die Situation entspannte. Christian rief erleichtert ins Telefon:

„Ja, genau! Das könnte gehen!“.

„Ok, Ladies. Ich muss mal nachschauen, ob meine Pisse in Ordnung ist. Gebt mir Bescheid, obs geklappt hat.“.

„Amigo, du bist der Beste.“, schickte mir Christian noch über den Äther, dann legte ich auf und robbte mich Richtung Klo. Ich hatte das Gefühl, als wären die Schmerzen etwas besser, wahrscheinlich auch wegen des ganzen Alks, aber die merkwürdige Frage des Doktors war mir die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gegangen. Sämtliche Muskeln meines Körpers zogen sich vor Schmerz zusammen, als ich mich die Kloschüssel hochzog. Für einen kurzen Moment wurde mir sogar schwarz vor den Augen. Dann ließ ich es laufen. Fühlte sich alles normal an. Ich ließ mich wieder auf mein Kissen sinken und schaute in die Schüssel. Astreine, glasklare Edelpisse. Ich zog die Spülung, betrachtete den Strudel und genoss für ein paar Sekunden den Augenblick. Das Telefon klingelte vom Wohnzimmer her und holte mich ins Leben zurück. Verdammte Scheisse, fluchte ich laut und machte mich wieder auf den Weg. Ich kam zu spät und schaute aufs Display. Anruf in Abwesenheit stand da, die Nummer kannte ich nicht, aber der Anrufer hatte eine Nachricht hinterlassen. Ich wählte die Mailbox und erkannte Marleens Stimme. Es tat gut, sie zu hören.

„Schatz, ich bins. Hab glaub ich meine Handy liegengelassen. Naja. Wollt dir nur sagen, dass ich heute früher nach Hause komme. Wollte mit Dir heute Morgen noch über gestern reden, aber du warst gar nicht wachzukriegen und hast von irgendwelchen Affen vor dich hingebrabbelt. Weißte, ich fands ganz schön scheisse. Wir wollten endlich mal wieder den Abend zusammen verbringen und auf einmal ist wieder die Bude voll. Und du gehst dann irgendwann total abgeschossen ins Bett und ich sitz dann da mit den Kerlen, wo ich doch früh raus muss. Aber war ja eigentlich noch ganz lustig. Nur die Hitze macht mich fertig. Naja, heute mach ich uns was Tolles zu Essen und wir können ja zu zweit ein bisl trinken. Bis später.“.

Ich wollte gerade auf Rückruf drücken, da ging das Ding wieder in meiner Hand los. Ich nahm ab. Christian. Er lachte.

„Vincent. Du hast mir das Leben gerettet! Ich bin frei!“

„Freut mich, Alter. Also machs gut. Und pass das nächste Mal besser auf deinen Arsch auf.“ Ich freute mich wirklich, am meisten jedoch, jetzt endlich meine Ruhe zu haben. Der Tag konnte jetzt nur noch besser werden.

„Nein warte, wir sind gleich bei dir.“

„Bei mir? Was?!“, ich fiel aus allen Wolken.

„Das müssen wir feiern. Ich hab ne Flasche Rum gekauft. Nur für dich, also für uns. Zehn Minuten.“, tuuut – tuuut - tuuut. Ich griff zur Weinflasche, kippte mir den kompletten Rest in den Rachen und schloss die Augen.

Dann standen sie in der Tür. Christian erschrak, als er zu mir hinabblickte.

„Mann siehst Du scheisse aus.“

Ich hingegen erschrak, als ich seine Tussi sah. Schwarze, löchrige Leggins, darüber Minirock aus Jeans und ein verwaschenes Oberteil in Pink. Direkt dazwischen erhob sich eine gewaltige blasse Plauze mit einem dicken goldenen Piercing direkt in meiner Augenhöhe. Wahrscheinlich um sie anzuleinen. Ich sagte nichts und winkte sie herein. Christian war nicht zimperlich mit dem Rum, schenkte uns ein Glas nach dem anderen ein. Nach einer Weile vergaß ich langsam den ganzen Zinnober der letzten Stunden und bekam richtig gute Laune. Die Alte sagte kein Wort, aber hielt gut mit. Christian hatte wohl echt vor, mit ihr durchzubrennen.

„Ich besorg mir morgen ein Auto und dann hauen wir ab. Berlin oder so, da kenn ich Leute. Hast Du ne Knarre?“, fragte er mich. Ich lachte ihn aus. Er ging nicht weiter darauf ein und torkelte in die Küche, um sich etwa zu essen zu holen. Als er zurückkam, hatte er mein großes Küchenmesser in der Hand. „Kannst Du mir das leihen?“. Ich zuckte mit den Schultern.

Wir schwitzen wie in der Sauna, was uns nur noch besoffener werden ließ. Zu irgendeinem Zeitpunkt mussten die beiden ihre T-Shirts ausgezogen und in die Ecke gepfeffert haben. Mir war mittlerweile so schwindelig, dass ich es gar nicht wirklich bemerkt hatte.

„Was ist das hier Vincent? Abenteuer von Trashman…hmm…“, er hatte mein Buch auf dem Tisch entdeckt und fuchtelte damit herum.

„Klolektüre, he?“, er lachte und die Alte stieg mit ein.

„So in die Richtung. Soll ich dir eigentlich auch ein Kissen holen für den Hintern oder geht’s?“, ich setzte ein besorgtes Gesicht auf. Jetzt lachte nur noch die Alte. Auf einmal hörte ich Schlüssel an der Tür rascheln. Marleen, schoss es mir durch den Kopf und in den Rücken.

Sie betrat die Wohnung, starrte zuerst mich an, dann ließ sie den Blick durch die Wohnung schweifen. Ich wusste genau, was sie dort sah: Zwei halbnackte Menschen, ein umgeworfener Aschenbecher auf dem Boden, die fast leere Flasche Rum auf dem Tisch, daneben meine leere Weinflasche. Jesus Christ. Marleen schüttelte ungläubig den Kopf. Ich sah sogar hier im Halbdunkel, wie ihr Gesicht immer roter wurde. Jeder war wie versteinert und blickte den anderen in die Augen. Wie in so einem beschissenen Spaghetti-Western. Irgendwer musste jetzt was sagen, wurde mir klar, sonst geht die Schießerei los.

„Hey Baby, schön dass du schon da bist. Setz dich zu uns. Das war total verrückt heute, da lachste dich kaputt.“, ich lachte verzweifelt. Marleen ging in Kampfpose und gerade, als sie lospusten wollte ertönte das metallische Summen der Klingel die Treppe hinauf durch die halboffene Wohnungstür, wodurch ein seltsamer Hall entstand. Ich musste an den Moment auf dem elektrischen Stuhl denken, wenn der Schalter umgelegt wird und zappelndes Fleisch in Flammen aufgeht. Wir alle zuckten zusammen. Marleen griff nach dem Hörer vom Fernsprecher.

„Ja?“, sagte sie und fixierte mich mit ihren Augen.

„Hmmm. OK, verstehe. Ja weiß nicht, komm einfach hoch.“. Sie hängte den Hörer wieder ein.

„Also, Vincent. Mike ist unten und hat wie vereinbart die Handschellen und Lederfesseln dabei. Er hofft er ist nicht zu spät gekommen. Aber sieht ja nicht danach aus. Gute Nacht.“, sie warf ihre Handtasche in die Ecke und fuhr sich durch die Haare.

„Du schläfst übrigens auf der Couch.“ Dann verschwand sie mit einem filmreifen Türknall im Schlafzimmer. Christian und seine Tussi blickten mich nervös und irgendwie erwartungsvoll an. Ich nickte ihnen zu und griff zum Rum. Mit der anderen Hand fischte ich schwungvoll das Telefon vom Tisch und wählte die Nummer von meinem Chef. Ich ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.

„Herr Seitner, ich bins. Hier meine Meldung: Ich bin seit gestern gefesselt ans Bett, also mit Handschellen, Sie wissen ja, GV und so, und der Schlüssel ist weg. Das ist mir peinlich, deswegen die Geschichte mit der Blockade. Ich werde mich jetzt noch weiter besaufen und vielleicht noch ein bisschen Spaß haben, Sie verstehen was ich meine? Na gut. Frohes Schaffen morgen.“. Ein paar Sekunden lang war Stille, dann hörte ich ein Räuspern.

„Herr Frey. Ich verstehe. Das bleibt unter uns. Wir sind ja Gentlemen. Ich halte hier die Stellung. Melden Sie sich, wenn Sie Hilfe brauchen.“. Dann legte er auf. Ich sah verdutzt auf das Telefon in meiner Hand und musste laut loslachen. Die beiden entspannten sich ebenfalls und fingen an zu grinsen. In meinem Weinregal waren noch 2 Flaschen Rotwein und ein Weißer.

Ich werde solange saufen bis es regnet, machte ich mit mir aus und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Unten hörte man schon die schwerfälligen Schritte von Mike im Treppenhaus, ich schenkte mir das Glas wieder halbvoll, Christian steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel und ließ das Messer von einer Hand in die andere gleiten und irgendein Auto – kein Panzer - hupte unten auf der Straße. Eigentlich doch alles in Butter, dachte ich mit benebeltem Kopf. So lets go.

Sonntag, 17. Juni 2012

Notwehr

Notwehr (2012)

Ein lebendiger Mensch
kam auf mich zu
wollte mir etwas über das Leben erzählen
und mich damit beißen
also machte ich
den lebendigen Menschen
tot.



Montag, 2. April 2012

Gasolina, Baby

Gasonlina, Baby (2012)


Meine Wut steht bei 1,73 pro Liter und steigt zähnebleckend,

doch die besten Piloten bleiben am Boden, den Kopf auf die Brust gebunden.

Mit unausweichbarem Blick zwischen die Beine, aber das Ohr nah am Herzen.

Das System funktioniert und wirft ein grinsendes

Auge auf verborgene Städte,

wo die Hände am Hebel zittern

wie an einer leeren Flasche,

gerade gut genug, um sie uns selbst über den Kopf zu ziehen.


Doch keine Angst, Jungs, ich bin noch ganz zahm.

Weil ich zu essen habe

und trinke und rauche und liebe

und mir die Wunden lecken kann

wenn mir danach ist.


Aber ich trage ein Messer bei mir,

gefeilt mit Wörtern und Sätzen,

ins eigene Blut getaucht

und wohl niemandem gefährlicher als mir selbst.


Lasst mich nur nicht nüchtern werden!

Guter Rat von einem Freund,

der frei ist von leicht zu widerlegenden Ideologien

und den gähnenerweckenden Momenten,

die dem Klick auf die Online-Petition folgen.


Den Punk habt ihr schon erledigt,

wie auf Paco im Tabaco.

Den Hippie sowieso,

der hat sich eh nie gewehrt.

Der Blutsäufer aber ist gefährlicher…

Denn er trinkt und wartet.

Kein Schläfer, sondern hellwach.

Und eines Tages ist vielleicht er es,

der den Strick knüpft

oder den roten Knopf drückt,

wenn er sich nicht schon vorher selbst erledigt hat.

Und zumindest darauf könnt ihr noch hoffen.


Was ich also eigentlich sagen will:

Schaut zu, dass hier noch genug Gasolina über die Theke wandert.

Dann müssen wir uns alle keine Sorgen machen, oder?

Nur ein guter Rat von einem Freund.

Ihr Schwanzlutscher.

Montag, 16. Januar 2012

Bob Dylan

Bob Dylan (2012)


Das Problem ist nicht,

dass wir uns alle gegenseitig nicht verstehen.

Das Problem ist,

dass sich niemand für niemanden interessiert.

Ich am allerwenigsten, warum auch?

Meine Ausrede ist, dass ich mich noch nicht einmal wirklich für mich selbst interessiere…

Wenn ich den Tag hinter mich bringe

ohne Kratzer von Fingernägeln an der Tapete

ist das genug.

Wahrscheinlich verschluckt sich Bob Dylan irgendwann an seiner Mundharmonika.

Das wäre traurig,
glaube ich...

Dies ist noch nicht mal ein ordentliches Gedicht,

das einen vom Hocker haut.

Vielleicht wenn ich mir mehr Mühe gegeben hätte…

Aber ratet mal:
Das ist mir auch egal.